Möglicher Rücktritt vom Erbvertrag gegenüber einem Geschäftsunfähigen

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kann grundsätzlich der Rücktritt bei Geschäftsunfähigkeit des Rücktrittsgegners gegenüber einem Bevollmächtigten erklärt werden. Die entsprechende Vorsorgevollmacht muss eindeutig die Entgegennahme von Willenserklärungen mit beinhalten. Das entspricht aber dem Regelfall.

BGH, Beschluss vom 27.01.2021 - XII ZB 450/20

Redaktionelle Leitsätze

1. Wird der andere Vertragsschließende geschäftsunfähig, schließt das den vertraglich vorbehaltenen Rücktritt vom Erbvertrag ihm gegenüber nicht aus.

2. Der Rücktritt vom Erbvertrag kann bei Geschäftsunfähigkeit des anderen Vertragsschließenden wirksam gegenüber dessen Vorsorgebevollmächtigten erfolgen; der Einsetzung eines gerichtlichen Betreuers bedarf es nicht.

Sachverhalt

Noch vor ihrer Heirat schlossen die späteren Eheleute im Jahr 2006 einen notariellen Erbvertrag ab und behielten sich den notariell zu beurkundenden Rücktritt von diesem Erbvertrag vor.

Anfang 2015 erteilte die Ehefrau ihren beiden Kindern eine umfassende privatschriftliche Vorsorgevollmacht. Mit notarieller Urkunde aus dem Jahr 2020 erklärte der Ehegatte (Kläger) den Rücktritt vom Erbvertrag. Die Urkunde zum Rücktritt wurde der Ehefrau und der bevollmächtigten Tochter zugestellt.

Wegen Bedenken hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit der Ehegattin beantragte der Kläger beim Amtsgericht die Bestellung eines gerichtlichen Betreuers für die Ehefrau zur Entgegennahme der Rücktrittserklärung.

Amtsgericht und Landgericht lehnten dieses Ansinnen ab, weil die Betreuerbestellung im Hinblick auf die der Tochter erteilte Vorsorgevollmacht nicht erforderlich sei.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

Gemäß §  2296 Abs.  2BGB erfolgt der Rücktritt vom Erbvertrag, den sich die Vertragsschließenden vorbehalten haben, durch Erklärung gegenüber dem anderen Vertragsschließenden.

Entgegen der teilweise in der Literatur vertretenen Ansicht ist die Ausübung des vertraglich vorbehaltenen Rücktrittsrechts nicht ausgeschlossen, weil der andere Vertragsschließende (gegenüber dem der Rücktritt zu erklären ist) mittlerweile geschäftsunfähig geworden ist.

Der Gesetzgeber habe in §  2298 Abs.  2 Satz 2 BGB den Tod des anderen Vertragsschließenden als eindeutige und unschwer zu bestimmende zeitliche Zäsur festgelegt, bis zu der das Rücktrittsrecht auszuüben ist. Aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut folge, dass ein Rücktritt noch zu Lebzeiten der anderen Vertragsseite möglich sein muss, auch wenn dieser mittlerweile geschäftsunfähig geworden ist. Der Gesetzgeber habe bewusst in Kauf genommen, dass dem geschäfts- und testierunfähig gewordenen Vertragsschließenden durch den Rücktritt die Möglichkeit genommen wird, auf die mit dem Rücktritt veränderte erbrechtliche Lage mittels neuer (wirksamer) letztwilliger Verfügungen zu reagieren.

Der Rücktritt könne auch jedenfalls grundsätzlich wirksam gegenüber einem rechtsgeschäftlich bestellten Versorgungsbevollmächtigten erklärt werden. Der Bestellung eines gerichtlichen Betreuers zur Entgegennahme der Rücktrittserklärung bedarf es nicht.

Der BGH hat sich insoweit der weit überwiegenden Literaturansicht angeschlossen. Er hat dies u.a. damit begründet, es sei der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers, durch die rechtliche Anerkennung der Vorsorgevollmacht das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen zu stärken.

Zwar trage der vom Erbvertrag Zurücktretende damit das Risiko der Unwirksamkeit der Vorsorgevollmacht, insbesondere wenn der Rücktrittsgegner bereits bei Vollmachtserteilung geschäftsunfähig war. (Nur) Sofern derartige, begründete Zweifel bestehen, könne der vom Erbvertrag Zurücktretende beim Betreuungsgericht die Bestellung eines Betreuers für den Rücktrittsgegner anregen.

 

Dr. Jan C. Nordmeyer

Rechtsanwalt und Notar